Auch die zweite Woche meines China Aufenthalts sollte alles andere als planmässig verlaufen. Falls Du den ersten Teil meines Reiseberichtes noch nicht gelesen hast, solltest Du dies vor dem Weiterlesen unbedingt tun (hier klicken).
Teil 2 – Kunming & Bangkok
Das laute Klingeln meines Handy-Weckers reisst mich erbarmungslos aus dem Schlaf. Es ist 03:20 Uhr in der Früh. Der Schlaf war ausserordentlich schlecht, und unter grossen Anstrengungen quäle ich mich aus dem Bett. Der Koffer ist schon gepackt und steht inmitten meines kleinen Hotelzimmers. Der Flieger geht erst um 8:30 Uhr, aber man hat mir mehrmals empfohlen, mindestens 4-5 Stunden vor Abflug am Flughafen von Shenzhen zu erscheinen. Ich halte mich an den Rat, sicher ist sicher. Auch unter normalen Umständen wäre dies alles andere als ein gewöhnlicher Reisetag, denn morgen beginnt offiziell das chinesische Neujahrsfest. Somit werden sich heute Millionen von Menschen auf die Heimreise begeben und landesweit werden Flughäfen und Bahnhöfe an ihre Kapazitätsgrenzen stossen. Eine der grössten Völkerwanderungen der Welt, plus einen unberechenbaren Virus, den ich absolut nicht einzuschätzen weiss. Ich verlasse mein Zimmer, schliesse leise die Tür und begebe mich meinem Koffer in Richtung Rezeption. Der geschäftliche Teil meiner Reise ist nun abgeschlossen, und vor mir liegen acht Tage Ferien. Geplant ist ein Aufenthalt bei der Familie meiner Freundin in Kunming, der Hauptstadt der Provinz Yunnan. Sie wird von London aus über Peking einfliegen, und wenn alles planmässig verläuft, werden wir uns heute Nachmittag am Flughafen von Kunming treffen.
Der nachtdiensthabende Portier liegt laut schnarchend auf einem der Sofas in der übersichtlichen Hotel-Lobby. Das Rattern meines Koffers weckt ihn auf und er begibt sich gähnend an den Rezeptionstisch, um den Check-out durchzuführen. Ich bitte ihn, mir ein Taxi zum Flughafen zu rufen. Die Atemschutzmaske lege ich erst auf dem Rücksitz des Taxis an. Das Ganze gestaltet sich um einiges umständlicher als gedacht, besonders im Dunkeln. Ist das Ding jetzt richtig rum… Ich habe keine Ahnung. Der Taxifahrer (selbst auch mit Maske) kichert amüsiert. Dass ich in Sachen Atemschutzmaske anlegen keine Erfahrung habe, scheint offensichtlich zu sein. Wir rauschen auf einer der endlosen Schnellstrassen Shenzhens durch die Nacht, und ziehen vorbei an anderen Fahrzeugen, deren Insassen allesamt Masken tragen. Die Stimmung ist geisterhaft. Dann Ankunft am hellerleuchtetem und hochmodernem Flughafen. Schon draussen herrscht reges Treiben, vor den Eingängen ins Gebäude bilden sich bereits grosse Schlangen. Der Grund: Auch hier wird vor dem Betreten des Gebäudes die Körpertemperatur jedes einzelnen Reisegastes gemessen.
Das pistolenartige Messgerät piept einmal kurz auf und man lässt mich in das kolossale Gebäude. Ich gebe mein Gepäck auf und gelange relativ schnell und ohne grössere Zwischenfälle durch die Sicherheitskontrolle. Ich sehe im Flughafen keinen einzigen Menschen ohne Maske, egal ob Säugling oder Senior, alle sind ausgestattet. Bis zum Abflug habe ich noch viel Zeit. Die meisten Läden und Restaurant haben noch zu. Ich finde ein kleines geöffnetes Café und setze mich. Mir fällt auf, dass die Geräuschkulisse trotz der vielen Menschen erstaunlich niedrig ist. Für China ist das an einem solchen Ort ungewöhnlich. Überhaupt wirkt alles extrem geordnet und ruhig. Auf der anderen Seite: Was habe ich eigentlich erwartet? Apokalyptische Massenpanik und wild gewordene Menschenhorden? Fehlanzeige. Der Virus ist unsichtbar und lautlos, und kein lauthals schreiendes menschenfressendes Monstrum, wie man anhand der Berichterstattungen der letzten Tage annehmen könnte. Der Flieger geht pünktlich. Auch die Stewardessen an Bord tragen allesamt Masken. Auf dem 2 1/2- stündigen Flug in den äusseren Südwesten Chinas, bekommt jedes vernehmbare Husten oder Niesen einen gewissen Beigeschmack. Ich muss mich selbst ermahnen: Das ist doch irgendwie alles lächerlich, denke ich mehrmals.
Dann Ankunft in Kunming. Die Provinzhauptstadt liegt auf 1892 Meter Höhe, dementsprechend ist es hier deutlich kühler als in Shenzhen. Auch hier gibt es bereits etliche Infektionen und ich sehe im Flughafen niemanden ohne Maske. Meine Freundin landet planmässig zwei Stunden nach mir und gemeinsam machen wir uns in Richtung Innenstadt auf.
Im Nachhinein fand ich heraus, dass ich meine Maske auf der gesamten Anreise auf völlig falsche Art und Weise getragen habe. Auf der oberen Seite der Fläche, die Mund und Nase bedeckt, gibt es einen kleinen Draht. Diesen gilt es um die Nase zu pressen, denn nur so kann man die Maske nach oben hin abdichten. Da ich dies nicht wusste, und die Maske auch noch obendrein falsch herumgetragen habe, war alles umsonst. Ich hätte auch genauso gut keine Maske tragen können. Ein durch und durch gelungener Ferien-Start.
Die folgenden Tage in Kunming sind fest im Würgegriff der Umstände, die der Virus mit sich bringt. Wir bleiben viel zu Hause, denn draussen hat fast alles geschlossen. Besonders die geschlossenen Restaurants verärgern mich, da ich ein ausserordentlicher Fan der lokalen Küche bin, und mich schon lange auf die diversen Spezialitäten gefreut habe. Die Nachrichten sind weiterhin unheilverkündend und die Infektionsraten steigen unaufhaltsam. Wir wollen uns die Ferienlaune jedoch nicht vollends verderben lassen und unternehmen hin und wieder kleine Ausflüge. Oftmals enden diese jedoch enttäuschend, denn fast immer haben die Ziele unserer Ausflüge geschlossen. Das Haus verlassen wir nie ohne Maske. Mittlerweile habe sogar auch ich begriffen, wie man sie richtig und funktionstüchtig anlegt.
Alle mit Maske unterwegs
In der historischen Altstadt im Herzen von Kunming, normalerweise ein beliebtes touristisches Ziel, ist wenig los. Ehrlich gesagt ist das alles andere als unangenehm. Trotzdem, beim Durchschlendern der alten Gassen bleibt ein sonderbares Gefühl, das sich nicht ohne weiteres abschütteln lässt. Auch an das stundenlange Tragen der Maske habe ich mich noch nicht gewöhnt. Wirklich bequem ist es nicht, und ich verspüre oftmals den Drang, das Ding einfach abzureissen. Auch die in China allgegenwärtige App WeChat zieht mit. Es gibt nun etliche Coronavirus bedingte Sonderfunktionen. So kann man beispielsweise anhand einer digitalen Karte herausfinden, wo genau bereits Infektionen registriert worden sind. Diese Orte werden mit einem roten Punkt genauestens geographisch markiert. Ein solcher Punkt befindet sich nur zwei Blocks von uns entfernt. Auch kann man vergangene Flüge auf infizierte Passagiere überprüfen, oder man wird per WeChat beim Rufen eines Ubers darauf hingewiesen, dass im Fahrzeug Mundschutzpflicht besteht.
Allein in der Altstadt
Hat ein Restaurant tatsächlich mal geöffnet, so sind wir die einzigen Gäste. In meiner fast 4-jährigen Zeit in China habe ich so etwas noch nie erlebt. Restaurants sind hier immer ausnahmslos belebte Orte der Begegnung. In diesem Land in einem völlig leeren Restaurant zu sitzen und zu speisen fühlt sich fast schon surreal an. Als ebenso bizarr entpuppt sich unser Besuch einer brandneuen gigantischen Shoppingmall, die aus irgendeinem Grund immer noch geöffnet hat. Die mehrstöckige, blitzblank polierte Mall ist wie ausgestorben. Monotone Smooth-Jazz-Musik, die aus den Lautsprechern tönt, verhallt in geisterhafter Stille. Wir schlendern umher und kommen uns fehl am Platz vor. Es ist wie in einem postapokalyptischen Computerspiel, es fehlt nur, dass ein Zombie hinter der nächsten Ecke hervorspringt.
Nicht viel los in dieser Mall
Vier Tage vor der geplanten Heimreise dann die Nachricht, dass British Airways alle Flüge von und nach China einzustellen plant. Viele Airlines haben sich dem Beispiel bereits angeschlossen. Hinzu kommen beunruhigende Berichte über vereinzelte Ein- und Ausreise-Verweigerungen an internationalen Grenzen. Zu allem Überfluss würden wir in dieser unübersichtlichen Situation auch noch getrennt voneinander zurückfliegen (Wir haben unterschiedliche Airlines gebucht). Nach kurzem Überlegen und Diskutieren entscheiden wir uns, einen neuen Flug zu buchen und bereits morgen gemeinsam aufzubrechen. Vielleicht ist das übertrieben, aber die Aussicht, hier hängen zu bleiben, ist einfach zu abschreckend. Der Rückflug geht am nächsten Nachmittag über Bangkok zurück nach London Heathrow.
Am nächsten Tag wieder am Flughafen von Kunming. Wieder Gesichtsmasken, wieder Körpertemperaturmessungen und wieder eine bedrückende Stille, trotz unzähliger Menschen. Vor dem Abflug müssen wir über WeChat ein digitales Formular ausfüllen, und Auskunft geben über unseren aktuellen Gesundheitszustand, unsere Reisehistorie und andere Details. Die Ausreise verläuft ohne Probleme. Noch am Gate sitzend denke ich, übermorgen werde ich bei einem kühlen frisch gezapften Guinness in einem Süd-Londoner Pub sitzen, und mir wird das hier alles wie ein Traum vorkommen. Aber noch ist nicht übermorgen.
Der Flug nach Bangkok dauert nur zwei Stunden. Bei Ankunft in Thailand wieder messen der Körpertemperatur. Auch hier im Flughafen überwiegend Gesichtsmasken, jedoch vereinzelter als in China. Vor allem die sonnenverbrannten westlichen Besucher sind hier grösstenteils ohne Maske unterwegs. Wir haben fast acht Stunden Aufenthalt.
Auch auf dem Flug nach London lassen wir unsere Masken an Bord an. Auf einem fast 12 stündigem Flug nicht wirklich angenehm. Vor dem Start ertönt eine Durchsage: Auf Anordnung der World-Health-Organisation werde man jetzt „das Spray“ in der Kabine versprühen. Ein thailändischer Flugbegleiter läuft mit zwei Sprühflaschen bewaffnet durch die Kabine, und versprüht deren Inhalt durchgängig. Ich würde gerne wissen, wie das Ganze riecht, aber geht ja nicht, wegen der Maske. Der Flug verläuft ohne Zwischenfälle. Nur ein älterer englischer Herr – in der zweiten Reihen vor uns – hustet durchgängig dermassen laut und erschütternd, dass ich denke, er könne jeden Moment ersticken und das Zeitliche segnen.
In Heathrow fragt man uns an der Passkontrolle nach unserem Reiseverlauf, lässt uns jedoch ohne Kommentar einreisen. England hat uns wieder. Aufgrund unserer verfrühten Ankunft dürfen wir sogar noch den Brexit live miterleben, denn heute Nacht um Punkt 11 Uhr (MEZ Mitternacht) verlässt das Land offiziell die EU. Aus den Klauen des Coronavirus mitten in den Brexit: Jetzt ist es wirklich Zeit für ein Guinness.