Die Crowdfunding-Plattform Kickstarter wurde 2009 vom gleichnamigen amerikanischen Unternehmen Kickstarter Inc. gegründet, bei welchem es sich nach amerikanischem Recht um eine Public-benefit corporation handelt. Der Unternehmenszweck ist die Bereitstellung einer Crowdfunding-Plattformen, welche die Umsetzung alternativer kreativer Ideen ermöglichen soll. Diese gesellschaftsnützliche Zielsetzung ist aufgrund der gewählten Unternehmensform zwingend und wichtig für das Verständnis der Herkunft von Kickstarter. Diese frühen Wurzeln sind Kickstarter bis heute anzusehen, so finden sich wöchentlich zahlreiche Nischenprojekte aus den Bereichen Theater, Tanz, Publishing und Kunst auf der Plattform. Es sind diese Projekte, welche Kickstarter zu dem machen, was es ist und die Plattform von anderen vergleichbaren Konkurrenten beispielsweise Indiegogo abgrenzt. Auch wenn sich Kickstarter diesen Teil der eigenen Identität bewahren konnte, hat sich die Plattform seit 2009 doch grundlegend gewandelt. So wird der erzielte Umsatz heute massgeblich (rund 75%) durch drei der 15 vorhandenen Projekt-Kategorien definiert. Es handelt sich hierbei der Reihenfolge nach um analoge/digital Spiele (1.15 Mrd seit 2009), Design (1.05 Mrd) und Technologie (880 Mio).

Notwendige Steigerung der Professionalität
Diese organisch entstanden Fokussierung hat in den genannten drei Kategorien seit 2009 zu einer deutlich gesteigerten Professionalität der zur Finanzierung stehenden Projekte in Gestaltung und Präsentation geführt. Einerseits ist dies, wie in allen Marketingbereichen, durch die verbesserten technischen und gestalterischen Möglichkeiten zu erklären. Seit 2009 hat sich diesbezüglich einiges getan. Andererseits ist dies aber auch eine notwendige Veränderung aufgrund der vorhandenen angeregten Konkurrenzsituation und klar gesteigerten Konsumentenansprüchen und Erwartungen der Backer (= Unterstützer von Crowdfunding Kampagnen). Die finanziellen Möglichkeiten auf Kickstarter sind verständlicherweise nicht nur einigen wenigen aufgefallen, sondern haben einen regelrechten Goldrausch ausgelöst. Die Folge daraus ist ein wöchentlich stattfindender Verdrängungskampf der startenden Projekte.

Jeden Dienstag, welcher sich als bevorzugter Starttag für Kickstarter Kampagnen herauskristallisiert hat, starten hunderte Projekte, welche um die Gunst der Backer kämpfen. War es in den Beginnen der Plattform noch so, dass eine kreative Idee, ein sympathischer Entwickler und ein paar gut geschriebene Worte für eine anständige Kampagne reichten, verschwinden solche Projekte heute in den Tiefen der Plattform. Ein Projektvideo, professionell gestaltete Grafikassets, ein nahezu finales Produkt, vorzeigbare Erfolge und Erfahrung usw. werden heute von vielen Nutzern der Plattform als Minimalstandard vorausgesetzt. Wurden früher auf Kickstarter Ideen/Träume finanziert, sind es heute in den meisten Fällen fertige Produkte, die eher vorbestellt als finanziert werden wollen. Neben der Konkurrenzsituation, welche zu diesem Aufrüsten geführt hat, sind diese gesteigerten Anforderungen auch mit den Schatten der Vergangenheit auf Kickstarter zu erklären. Beinahe unendlich scheinende finanzielle Möglichkeiten haben nicht nur rechtschaffende Projektentwickler auf Kickstarter gelockt, sondern auch Betrüger, welche die Gutgläubigkeit der Menschen auf Kickstarter in den frühen Jahren schamlose ausgenutzt haben. Entweder verschwand der angebliche Innovator zusammen mit dem gesammelten Geld umgehend nach Abschluss der Kampagne oder lieferte ein maximal mangelhaftes Produkt. Daneben gab es auch immer wieder den Fall von Projektentwicklern, welche sich bezüglich der tatsächlichen Projektaufwände komplett verschätzten und dementsprechend auf halber Strecke das Geld ausging. In beiden Fällen bleiben die Backer auf ihren Kosten sitzen, denn an Kickstarter dürfen keine Schadensersatz-Ansprüche gestellt werden. Kickstarter stellt die Plattform zur Verfügung, die Backer weisen keinen Vertrag mit Kickstarter, sondern mit dem Projektentwickler auf. Dieser kann nur zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihm grobe Fahrlässigkeit oder Zweckentfremdung der Gelder nachgewiesen kann. Rechtlich ist dies vor allem bei einem solch fragmentierten Schadenanspruch sehr schwierig und hat nur in seltensten Fällen zum Erfolg geführt. Solche Erfahrungen haben verständlicherweise die Kickstarter-Community geprägt und guter Willen gepaart mit einer Idee halten den neuen Ansprüchen nicht mehr stand.

Der moderne Backer erwartet ein Rabatt auf den späteren Handelspreis, Kickstarter exklusive Goodies, Mitspracherecht beim Produkt und transparente umgehende Kommunikation (24/7). Man kann dementsprechend durchaus aussagen, dass der moderne Kickstarter Backer erwachsen geworden ist und in gewisser Hinsicht sogar höhere Ansprüche stellt als ein normaler Kunde. Dies ist an sich nicht problematisch, da ein reifer informierter Kunde hoch relevant dafür ist, den Markt zu regulieren d.h. die schwarzen Schafe auszusortieren. Es führt jedoch auch dazu, dass der eigentlich Geist hinter Kickstarter – die Finanzierung von Träumen/Ideen– immer mehr in den Hintergrund rückt. Für kleine Entwickler wird es auch auf Kickstarter immer schwerer sich durchzusetzen, da eine enorme Professionalität zu leisten ist, um sichtbar zu sein und dann auch unterstützt zu werden. Diese Kleinstentwickler zahlen gewissermassen die Kosten der Vergangenheit. Sie müssen mit einem kleineren Budget die Professionalität der grossen Player kopieren d.h. Vergleichbares leisten. Gleichzeitig müssen sie sich aber auch klar von diesen Projekten abgrenzen, denn nur so können sie einen Teil der Backer von sich und ihrem Projekt überzeugen. Die neue Ausgangslage für solche Kleinstentwickler auf Kickstarter ist also marketingtechnisch durchaus anspruchsvoll und die präsentierten Lösungen für Aussenstehende interessant zu beobachten.

Spagat zwischen Professionalität und Persönlichkeit
Mit der Treecer GmbH und ihrem Projekt «Darwin’s Choice – The Final Campaign» gibt es momentan die seltene Gelegenheit ein Zuger Jungunternehmen auf Kickstarter zu beobachten. Nach 2½ Wochen steht die Finanzierung bei etwas über 90’000 CHF. Dass das Team etwas von Kickstarter versteht, hat es schon mit seinem ersten Projekt (2018) bewiesen, als es mit seinem Gesellschaftsspiel «Darwin’s Choice» rund 190’000 CHF in 30 Tagen sammelte. Um diesen Erfolg einschätzen zu können, muss man als Aussenstehender wissen, dass dieses Projekt damit in den top 1.5% aller je durchgeführten Kickstarter Kampagnen liegt. Welche Lösung hat das Zuger Team für die sich ihnen stellende Aufgabe gewählt? Es wagt den Spagat zwischen Professionalität und Persönlichkeit. Auf der einen Seite hat die Kampagne alles, was man von einer modernen Kickstarter Kampagne erwarten kann und muss. Die Grafikassets sind sauber, die Kampagne ist ausführlich und informativ, das Video weisst einen professionellen Schnitt mit abgestimmter Musik auf, Business-Partner werden vorgestellt, die Risiken und Herausforderungen werden ausführlich beschrieben usw.

Wie vorgängig angesprochen ist dies heutzutage kein Alleinstellungsmerkmal mehr, dies erwartete der moderne Backer von einer Kickstarter Kampagne. Damit punktet man nicht mehr bei den Kunden, schafft es damit aber in den Pool potenziell unterstützenswerter Projekte. Das Team scheint diesbezüglich seine Hausaufgaben gemacht zu haben. Um sich nun von den anderen Kampagnen abzugrenzen, probiert diese Kampagne einen interessanten Ansatz. Die Kampagne ist zwar entsprechend einer professionellen Spiele-Kampagne durchstrukturiert, hat aber das Flair einer Kampagne aus einer Nischenkategorie z.B. Kunst oder Theater. Das Video ist beispielsweise professionell geschnitten, das verwendete Videomaterial scheint aber selbstgemacht. Was beim Schauen auch auffällt, ist, dass die Projektentwickler im Video vorkommen und sich auf der Kampagnenseite ausführlich vorstellen. Bei einer Kampagne aus den grossen Kategorien Spiele, Technologie und Design ist dies meist nicht zu erwarten, da das Produkt in den Vordergrund gestellt wird. Bemerkenswerte ist ebenfalls das Aufführen von zentralen Werten d.h. Nachhaltigkeit, Klimaneutralität usw. im obersten und somit zentralen Bereich der Kampagnenseite. Produkte ausserhalb des Nachhaltigkeitsbereich bedienen sich solcher Argumente höchst selten auf Kickstarter. Auch die Kommunikation fügt sich nahtlos in das geschaffene Bild ein.

Die Backer werden im Kommentarbereich konsequent geduzt, Fragen umgehend beantwortet, es herrscht ein kollegialer und partizipativer Umgang. Mit dieser sympathischen aber wohl durchaus durchdachten Strategie, schafft es dieses Team sich von anderen Projekten abzugrenzen, gleichzeitig aber nicht die Professionalität zu verlieren. Dies ist durchaus eine interessante Lösung für das sich stellende Problem. Der Projektentwickler wird selbst ein Teil des Produkts und bietet während und nach der Kampagne ein Erlebnis. Die Backer fühlen sich einbezogen, das schafft Vertrauen. Dieser daraus erwachsene nachhaltige Wettbewerbsvorteil/dieses Alleinstellungsmerkmal ist verständlicherweise nur schwer zu kopieren ist und schafft Charakter. Die Backer binden sich an das Team hinter der Kampagne und nicht an das spezifische Produkt. Das Potenzial für eine nachhaltige langfristige Kundenbindung wird geschaffen. Trotzdem handelt es sich um ein Spagat, denn bei aller persönlichen Nähe darf die Professionalität nicht vergessen gehen. Sehr schnell kann etwas laienhaft und unprofessionell wirken, hier eine gesunde Mischung zu finden, ist definitiv eine Gratwanderung. Bis jetzt scheint das Team hinter der Treecer GmbH aber alles richtig zu machen und die Balance zu halten. Es wird spannend sein, wie sich dieser Zuger Kickstarter Ansatz langfristig bewähren wird. Der Aufwand dahinter ist aber sicher nicht zu unterschätzen, den Vertrauen muss immer wieder bestätigt werden. Nur wer in den kritischen «moments of truth» da ist, wird die Gunst der Backer auf seiner Seite haben. Denn schlussendlich sind auch Backer einfach Kunden, welche ihre Erwartungen erfüllt haben wollen und sonst den Anbieter wechseln.

Wer selbst einmal einen gekonnten Blick aus Marketingsicht auf das Projekt werfen will, findet das Projekt hier:

Darwin’s Choice – The Final Campaign

Ein Blick ist dieser Zuger Kickstarter Ansatz sicherlich wert. Ab der Mindestunterstützung von 1 CHF erhält man die wöchentlichen Updates des Teams und somit auch einen Blick hinter die Kulissen einer Kickstarter Kampagne. Definitiv zu empfehlen!